Allianz ist Innovator 2018
online-banker.de begleitet die Agilisierung der Allianz IT

Teil der agilen Arbeitsweise: das Scrum Board
Das ATC München, das Platz für 150 Mitarbeiter bietet, ist es abseits der Bürosilos angesiedelt, in denen die Angestellten der Versicherungssparten normalerweise sitzen. Wer hier einzieht, um in interdisziplinären Teams zu arbeiten, dazuzulernen und umzulernen, klinkt sich für 100 Tage aus dem Berufsalltag aus. Die Teilnehmer sollen sich für die Dauer des Projektes voll auf ihre selbst gestellte Aufgabe konzentrieren. Selbst wenn es in der Heimat-Abteilung brennt, soll niemand in Versuchung geraten, den Feuerwehrmann zu spielen. Die ATCs sind die Aushängeschilder des Innovationsprogramms Digital Factory, das Oliver Bäte, Vorstandsvorsitzender der Allianz SE, vor zwei Jahren auf die Single Digital Agenda gesetzt hat – eine Art Masterplan für die Modernisierung von Deutschlands größtem Versicherungskonzern. Vordergründig geht es darum, in schnellem Takt Angebote fürs Facebook-Zeitalter zu entwickeln, etwa den Antrag auf eine Berufsunfähigkeitsversicherung handytauglich zu gestalten. Mindestens ebenso wichtig wie dieser direkte Nutzen ist noch etwas anderes: Die Softwarefabriken sollen einen Kulturwandel vorantreiben, dessen Ziel laut Bäte ein „vollständig digitales Unternehmen“ ist, das die gewachsenen Strukturen hinter sich lässt und die Trennlinie zwischen IT-Strategen und IT-Nutzern ausradiert.
Der Vorreiter der EDV kämpft mit den Altlasten
Die Verjüngung des altehrwürdigen Dax-Konzerns, die sich auch in einem Globalisierungs-Denglisch à la Siemens oder BMW niederschlägt, ist allerdings kein Vorhaben, das der Vorstands- und der Digitalchef unternehmensweit im Hauruck-Verfahren durchziehen können. Zwar sind Innovationen heute – anders als unter dem konservativen Michael Diekmann – unübersehbar Chefsache. Die Grundregel des Change Managements, wonach der oberste Verantwortliche für einen Veränderungsprozesses nicht aus der zweiten Reihe kommen sollte, ist also erfüllt. Doch es geht nicht nur um psychologische Faktoren, sondern auch um Technik. Denn alles Neue muss natürlich mit dem Alten harmonieren. Und die Allianz war das erste europäische Unternehmen aus der Privatwirtschaft, das in die Digitalisierung investierte, die damals noch elektronische Datenverarbeitung (EDV) hieß. 62 Jahre später hockt der Konzern nun auf beträchtlichen Altlasten, die sie nicht einfach abschalten und ersetzen kann.
Die Bereinigung der Systemlandschaft beschäftigt die IT-Experten schon seit zehn Jahren. Dass die wichtigsten Geschäftsprozesse naturgemäß als Erste automatisiert wurden, erweist sich heute als Problem: Die Großrechner-Programme wurden über Jahrzehnte ergänzt, erweitert und an neue Vorschriften angepasst. Dabei entstanden Konstruktionen mit abenteuerlichen An- und Umbauten, die nur Informatiker durchschauen, die damals dabei waren. Wenn diese Generation in Rente geht, muss alles auf den heutigen Stand der Technik aktualisiert sein. Solange behilft sich die Allianz mit einer Software-Zwischenebene, die neuen Apps Zugang zu Altsystemen verschafft. Eine aufwendige Notlösung, aber unumgänglich bei Finanzprodukten zur Altersvorsorge, bei denen die Kundendaten jahrzehntelang gepflegt werden müssen.
Nur keine Wünsche offen lassen
Oliver Bäte kann die Ablösung der veralteten Infrastruktur kaum erwarten. „Wir haben mehr Daten als irgendwer sonst“, sagte der Vorstandschef bereits beim Capital Markets Day 2016, „wir nutzen nur den Hebel noch nicht richtig.“ Die schwierigste Aufgabe war bisher, die Datenbestände so zu sortieren, dass jeder Kunde nur einmal existiert und nicht etwa viermal, weil er vier Policen hat. Denn gut aufgeräumte Datenbanken sind die Grundvoraussetzung, um versteckte Informationsschätze mit modernen Analyse-Werkzeugen zu heben. Die Kunden zu kennen statt ihre Verträge oder Versicherungsfälle heißt für eine Versicherung nicht nur, deren Wünsche und Vorlieben zu verstehen, sondern auch Risiken besser einschätzen zu können. Die Qualität und Vollständigkeit der Daten ist umsatz- und gewinnrelevant.
Deshalb versuchen die Entwickler, sich in die Kunden hineinzuversetzen. In der Global Digital Factory am Münchner Ostbahnhof machen sich interdisziplinäre, international besetzte Teams Gedanken über typische Customer Journeys, ein Konzept, das Onlinehändler wie Amazon nutzen: Welche Wege können Versicherte vom Erstkontakt bis zum Vertragsabschluss gehen? Die Wege variieren erheblich, je nachdem, gegen welches Risiko sich der Kunde absichern will und welchen Beratungsbedarf er hat, sie hängen aber auch vom jeweiligen Marktumfeld ab. Die Kunst besteht darin, die Interessenten an allen vorstellbaren Einstiegspunkten abzuholen und durch ein Informationsangebot zu leiten, das keine Fragen offen lässt, damit niemand auf die Idee kommt, sich bei einem Wettbewerber umzuschauen.

Zum vollständigen Original-Artikel von Ulf J. Froitzheim
Als Succes Story wurde der Bericht des Magazins brand eins bereits auf unserer Homepage angekündigt. Nun ist der Bericht frei verfügbar. In Auszügen darf er hier veröffentlicht werden. Den Artikel im Original finden Sie hier.