Start-ups treiben etablierte Banken vor sich her

FinTechs haben die Ideen, etablierte Banken und Versicherungen die Kunden und das Kapital. Mittlerweile ist beiden klar, dass sie einander brauchen. Was die Kuscheltaktik den Kunden bringt.

von Karsten Seibel, am
Wo Kunden der Bank untreu werden

Bildquelle: Infografik Die Welt

Laut einer Umfrage der Beratungsgesellschaft PwC gehen neun von zehn Managern etablierter Banken und Versicherer weltweit mittlerweile davon aus, dass sie Marktanteile an Finanz-Start-ups verlieren werden. Rund ein Viertel der Erträge sehen sie in Gefahr.

Kunden werden Banken untreu

Schon heute müssen sie beobachten, wie Kunden ihnen bei bestimmten Geldgeschäften untreu werden. Geht es um Zahlungen im Internet, hat es beispielsweise Paypal geschafft, sich im Bewusstsein der Kunden festzusetzen. Sie zahlen mit Paypal. Dass hinter jeder Transaktion letztlich eine klassische Banküberweisung steckt, daran denken die wenigsten.

Auch bei Krediten, Sparangeboten und Versicherungen gibt es längst neue Teilnehmer auf dem Markt. Die jungen Technologieunternehmen sind besser darin, verständliche Produkte für die digitale Welt zu bauen, ihr Service ist schneller und nicht an Öffnungszeiten gebunden, sondern rund um die Uhr verfügbar. Auch das wird von den Vertretern der Großkonzerne mittlerweile offen eingestanden, wie die PwC-Umfrage zeigt.

Und sie können verstehen, wenn dies genutzt wird. 84 Prozent aller Befragten gehen davon aus, dass Kunden beim Thema Bezahlen im Internet schon heute regelmäßig auf Angebote von Fintechs vertrauen, bei Ratenkrediten äußerten sich 56 Prozent in diese Richtung, bei Sparprodukten 49 Prozent und bei Versicherungs- und Anlagethemen jeweils 38 Prozent.

offen für Kooperationen

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Die Überlebensstrategie vieler Banken und Versicherer heißt deshalb nicht Kampf, sondern Umarmung. „Im Grunde ist Fintech der neue Mainstream“, sagt Sascha Demgensky, verantwortlich für das Thema bei PwC. Alle wollen lieber heute als morgen zum Tech-Unternehmen werden und suchen dafür Partner mit guten Ideen. Besonders die deutschen Vertreter bedienen sich dabei der neuen Ansätze. Sieben von zehn Finanzdienstleistern kooperieren bereits mit Fintechs – in keinem der untersuchten 32 Länder sind es mehr.

Neue Produkte auch in der Versicherungswelt

Zwei Beispiele aus dem Bankbereich: Kein Kunde muss mehr zur Postfiliale rennen, wenn er ein Konto eröffnen will, eine Videoschalte vom PC oder Smartphone aus reicht zur Legitimation. Und bei der Anlage sorgen vielfach Computer statt Wertpapierberater für den richtigen Mix – die sogenannten Robo-Advisors sind günstiger und oft auch besser als die Konkurrenz aus Fleisch und Blut. Auch die Technik wird bereits von klassischen Banken und Investmentgesellschaften angeboten.

Und auch in der Versicherungswelt gibt es längst neue Produkte. So durchkämmen digitale Makler die Policen eines Kunden regelmäßig danach, ob es irgendwo günstigere Angebote gibt. Andere sind drauf und dran, Vermittler von Sachversicherungen überflüssig zu machen, weil sie automatisch jedem Kunden, der im Internet einkauft, zu einem Produkt direkt die passende Police anbieten. Grundsätzlich geht der Trend weg von Standardprodukten, wie Haftpflicht- und Hausratversicherung. Vielmehr soll der Kunde dann eine Versicherung abschließen, wenn er sie braucht. Geht er das Wochenende über Ski fahren, will er vielleicht für zwei Tage eine entsprechende Police.

Wie sinnvoll solche Policen unter Kosten-Nutzen-Aspekten sind, spielt bei der Gründung der neuen Vermittler erst einmal keine Rolle. Es funktioniert. Das Berliner Start-up Simplesurance hat sich mit Schutzklick bereits einen Namen gemacht.

„Wir reduzieren den Betrug“

Auch Friendsurance aus München geht neue Wege. Die Mannschaft um Gründer Tim Kunde treibt das Unternehmen voran, bei dem sich Nutzer zu Versicherungsgruppen zusammenschließen können. Wenn kein Mitglied einen Schaden meldet, gibt es am Ende des Jahres 40 Prozent der Beiträge zurück.

Der besondere Reiz ist: Wer als Kunde weiß, mit wem er versichert ist, hat mehr Scheu, jeden kleinen Schaden direkt zu melden – geschweige denn, den Versicherer übers Ohr zu hauen. Auch das ist wieder vom Kunden her gedacht, nicht aus der Position des Versicherers. Wobei natürlich auch der Versicherer etwas davon hat. „Wir reduzieren den Betrug“, sagt Tim Kunde von Friendsurance in seinem Vortrag.

Kein Wunder, dass solche Unternehmen auch Versicherungsgiganten wie dem weltgrößten Rückversicherer MunichRe gefallen. Auch die Münchner haben in Start-ups investiert und begleiten diese nun eng. „Die Gründer haben gute Ideen, aber es fehlt das tiefe Versicherungswissen“, sagt Jennyfer Yeung-Williams aus dem Beteiligungsteam des Konzerns. Nach der anfänglichen Sturm-und-Drang-Zeit wünscht sie sich mehr Struktur in den Start-ups. Aus ihrer Sicht gehören in jedes Gründungsteam nicht nur Programmierer, sondern auch Versicherungsfachleute. Auch daran wird deutlich, dass die neue und die alte Welt zusammenwachsen.

Quelle: welt.de

Autor: Karsten Seibel